Ein wundervoller CareSlam-Text von Sabrina Maar, mit dem sie mich auf dem CareSlam schwer beeindruckte. Ich durfte Ihn hier online stellen, da er den vielen Pflegenden nicht vorenthalten werden sollte!!!
Das Leben da draußen und das Leben im Altenheim trennt eine Tür. Sie ist aus Glas, und doch sieht niemand hindurch,
nicht so wirklich-
nicht du und nicht ich.
Wenn ich morgens diese Tür hinter mir schließe, dann verliere ich- manchmal- mich.
Ich verliere den Mensch der ich bin,
das Suchen nach einem Sinn, die Berufung, das Ziel-
ich verliere mein heimliches Streben nach Besserung,
mein ewiges Sehnen nach Erleichterung,
ich verliere das Mädchen mit den Tattoos und den braunen Haaren,
den blauen Augen und dem Lachen selbst an endlosen Regentagen.
Vielleicht- weil manchmal kein Platz für Gedanken und Gefühle ist in dem Alltag der uns erwartet,
dort hinter dieser Tür, in dem bunten Haus voller Desinfektion-
und manchmal wünschte ich, ich könnte mit jemandem darüber sprechen aber-
wer glaubt mir das schon und- wer will es hören?
Auf dem Papier bin ich Auszubildende zur examinierten Altenpflegerin.
In der Realität, bin ich so vieles- und doch so selten genau das.
Wer bin ich?, frage ich mich, an manchen Tagen an denen ich im Stationszimmer sitze
und meine Füße brennen,
die Kollegen schimpfen ohne Namen zu nennen aber jeder weiß doch, über wen sie reden,
und ich versuche mein Häkchen an den richtigen Stellen zu setzen während die Lautstärke steigt
und keiner eigentlich wirklich weiß, wen man meint-
ist die Kollegin Schuld oder doch das System? Oder wir, weil wir-
einfach weitergehen ohne laut „Stop!“ zu schreien und die Arbeit niederzulegen?
Ich bin eine Maschine. Manchmal bin ich eine Maschine, einfach weil alle anderen auch eine sind, und weil es so wenige hier sind
-so viel zu wenige.
Der Mund muss auf, und immer auf, und ich schaufele einen Löffel nach dem anderen rein.
Wie ein Bagger, will ich sein.
Der Mensch ist meine Baustelle und ich bin der gehetzte Bauarbeiter irgendwo dort, zwischendrin,
denn ich habe keinen Sinn, den habe ich abgegeben,
als ich heute morgen das Heim betreten habe.
Und irgendwo sitzen sie in ihrem Büro und fragen sich,
wessen Stelle sie als nächstes kürzen können.
Sie sind so weit weg und sie werden niemals auf dieser Baustelle stehen, außer irgendwann am Ende ihres Lebens- um dann zu begreifen dass man mit manchen Erkrankungen länger zum Essen braucht als in ihren Köpfen ursprünglich vorgesehen.
Schneller, schneller. 20 Minuten pro Einheit sagt man,
10 sind natürlich besser,
je mehr du in kurzer Zeit hineinbekommst desto besser.
Also schaufele ich, und schaufele, und schaufele.
Wie ein Bagger will ich sein, eine Maschine, ich bin nicht mehr ich,
denn ich diene nur noch diesem einen Zweck.
Der Rest von mir- der ist weg, der wartet, irgendwo vor dieser Tür auf mich,
bis zum Feierabend- dann werde ich wieder ich. Hoffentlich.
Dann, ganz plötzlich, funktioniert die Maschine nicht mehr wie sie soll.
Der Mund geht nicht mehr auf, er bleibt einfach zu.
„Den Mund auf.“, sage ich, freundlich.
„Mund auf.“, freundlich, bestimmend. Dirigierend. Mit festerer Stimme.
Aber er bleibt zu, zu, zu.
Mein Blick hascht zu der Uhr auf dem Nachttisch,
ein nervöses Zucken durchfährt mein Gesicht.
Die 20 Minuten sind bald um, der Teller noch voll.
Noch so viel Milchsuppe, so viel weiße klebrige Masse, jeden Tag das gleiche,
morgens, mittags, abends.
Ich habe zwei Möglichkeiten- entweder weiter auf die Frau einreden, die hilflos vor mir liegt, oder mich einfach umdrehen und gehen.
„Bewohner verweigert Nahrungsaufnahme.“
Und weil ich zwei Möglichkeiten habe, wähle ich die dritte.
„Was ist denn los?“, frage ich.
Ihre starre Mimik verzieht sich,
die Maschine sie beginnt zu leben und die Maschine ich lebt mit einmal mit ihr mit.
Ich bin sie, und sie ist ich.
„Ich will nach Hause.“, wispert sie, und ihr Gesicht verzieht sich zu einem Weinen, nur die Tränen fehlen.
„Ich weiß“, sage ich. „Ich weiß.“
Dann nehme ich ihren Kopf in meine Hände und streiche ihr die Haare zurück. Die klebrige Milchsuppe bleibt in der Tasse, nur für einen Moment, und die Uhr tickt erbarmungslos.
Tick- tack- tick- tack.
Und da sitzen wir, wir zwei, Maschinen,
am Ende und am Anfang einer Karriere,
eines Lebens,
die Uhr tickt und ich halte ihre Hand.
„Ich weiß.“
Irgendwann, zehn Minuten später fällt mir auf, dass ich ihre Tränen weine, die Milchsuppe kalt geworden ist und die Uhr mir erbarmungslos mitteilt,
dass ich schon längst bei meinem nächsten Bewohner angelangt sein müsste.
Ich bin eine Maschine, wie ein Bagger will ich sein,
und ich wische meine Tränen bei Seite und gehe weiter.
Und dann gab es da diese Frau, die wollte auch immer nach Hause und ich-
ich habe ihr gesagt irgendwann, irgendwann. Und eigentlich wollte sie so gerne reden,
sie wollte uns so gerne von ihrem alten Zuhause erzählen
und- immer wenn du bei ihr im Zimmer warst konntest du es kaum mehr verlassen,
denn sie wollte immer mit dir reden und- dir so viel von ihrem Leiden erzählen.
Aber wir hatten keine Zeit.
Sie war der erste Mensch, dem ich beim Sterben zugesehen habe.
Wenn jemand stirbt, und sie kommen, um sie zu holen,
dann blicken wir aus dem Fenster raus.
„Das Licht da im Leichenwagen, das sieht schön aus.“,
sage ich zu meiner Kollegin- „weißt du was ich meine?“
Sie nickt und dann- schweigen wir beide, anstatt zu reden-
ich glaube, wir schweigen, weil wir leben und- weil wir Angst haben, der Tod könnte uns hören, wenn wir zu laut reden und er könnte sich entscheiden uns mitzunehmen.
Ich bin voller Angst,
manchmal, weil ich noch nie so deutlich vor Augen hatte dass wir alle Sterben und-
dass unser Leben endet in einem Haus mit bunten Wänden,
das nach Desinfektionsmitteln stinkt.
Ich wünschte, ich könnte mit jemandem darüber reden-
aber wir schweigen, weil wir leben.
Sie alle, sie suchen ihr Zuhause und eines Tages, da gehen sie heim, so oder so.
Nur meine Kollegen und ich, wir bleiben hier,
hinter dieser Tür,
in dem bunten Haus voller Desinfektion, Inkontinenzmaterial und Resignation.
Ich liebe meinen Job und ich möchte ihn mein Leben lang ausüben.
Es ist mir egal, was noch kommt und- wie viele Hände ich noch halten muss,
wie viele Tränen ich noch weinen muss- es ist mir egal,
denn ich bin ein Mensch, und nichts menschliches ist mir fremd, nicht wahr?
Aber manchmal- da sitzt mir das tickende Krokodil im Nacken wie bei Peter Pan,
als kleines Kind dachte ich, das wäre ein Märchen aber heute weiß ich, Märchen fangen im realen Leben an, es fehlt nur meistens das Happy End, zumindestens für uns weil man das Sterben selten so nennt.
Nach der Schicht,
wenn ich nach Hause komme, schweiß gebadet und resigniert,
alleine gelassen und desinteressiert-
dann fange ich an,
nach Stellen im Ausland zu googeln und tröste mich
damit dass ich eines Tages gehen kann.
Ich will es nur nicht.
Ich will- unsere Wände neu streichen.
Die Betten verrücken und die Zimmer neu einrichten.
Ich will ihnen ein Zuhause bauen, wo sie keines mehr haben. Ich will Zeit haben um- mir ihre Geschichten anzuhören bevor sie sterben und- ich will dass ihre Angehörigen noch irgendetwas erben und nicht das ganze Geld, das sie nicht mehr haben dafür bezahlen, dass wir sowieso nicht das leisten können was wir sollen- und niemals das, was wir wollen.
Ich will dass sie öfter als einmal in der Woche spazieren gehen und- dass auch die Bettlägerigen und die Dementen mal etwas anderes sehen als ständig das Gleiche grün, gelb, rot oder blau.
Und, ich weiß es genau:
Ich will reden, wo ich heute noch schweige.
Helft mir zu bleiben.
©by Sabrina Maar